Ein Blog aus Hamburg über Hamburg. Eine humorvolle Betrachtung des alltäglichen Treibens. Es geht um die Menschen und die Ereignisse in der Hansestadt. Die komischen Menschen und die komischen Ereignisse. Kleine Ereignisse in der großen Stadt. Leise Töne in einer lauten Umgebung. Amüsant, unterhaltend, manchmal wirr. Eben 'Tüdelkram from Hamburg'.



24. März 2014

Knigge und Vorspiel

"Wie soll ich bloß anfangen?", war sein erster Gedanke. Er konnte ja nun schlecht direkt aus der Hüfte irgendein Ereignis präsentieren. Wochenlang nichts von sich hören lassen und dann fängt er an, als wäre nichts gewesen. Das mag doch niemand. Besonders Frauen nicht.
So etwas stört ihn bei einigen Comedians auch immer. Die kommen auf die Bühne, der Applaus ist gerade erst abgeflaut und das Programm startet mit Sätzen wie zum Beispiel: "Die Bahn ist ja wohl echt voll schlecht.", oder auch: "Kinder sind so anstrengend, das gibt´s gar nicht.".
Es ist jetzt natürlich nicht so, dass er selbst den Knigge-Newsletter abonniert hat, aber dieses Prinzip Vorschlaghammer in einer Unterhaltung, respektive Vortrag, findet er nun wirklich nicht so sozialverträglich.

Die Meinungen zum Thema "Vorspiel" gehen ja generell recht weit auseinander, aber bei einer literarischen Präsentation darf man sich dafür gerne einen kleinen Moment lang Zeit nehmen.
Es wäre also sicherlich etwas eleganter, erst mal von der erneuten Erkältung zu berichten, die ihn, schon wieder, mehrere Tage niedergestreckt hatte. "Man wird eben nicht jünger.", schießt es ihm sofort durch den Kopf.
Und dann hat auch noch der innig geliebte Laptop das Zeitliche gesegnet. Darüber könnte man ja zunächst auch mal das ein oder andere Wort verlieren. Sowohl aus Respekt und dankbarer Anerkennung gegenüber der stets zuverlässigen, mechanischen Eingabehilfe, als aber auch um nochmals die unausweichliche, lange Schreibpause hinlänglich zu erklären.

Aber Zeit ist ja bekanntlich Geld und von Problemen und Wehwehchen will auch niemand was wissen. Insofern könnte er tatsächlich mit einer der vielen Beobachtungen der letzten Tage starten. Also praktisch ohne aufwärmen los joggen. Ohne Testbericht einen Computer kaufen. Ohne "Holidaycheck" den Urlaub buchen. Ohne Navi ins Auto steigen.
Wahnsinn! Unglaublicher, infantiler Anarchismus!
Aber irgendwie ist es ja auch völlig egal, oder nicht?!

Also warum nicht einfach ohne Vorankündigung von dem sympathischen Pärchen bei Rewe berichten. Augenscheinlich schlecht gelaunt schlichen sie, getrennt voneinander, durch die Regale, während der Einkaufskorb bereits vor dem Laufband auf Entleerung auf selbiges wartete. Offensichtlich eine taktische Idee des Ehegatten, denn die holde Ehefrau gab irgendwann die entnervte Anweisung, den Inhalt des Korbes doch bitte, wie schon angedeutet, zweckmäßig auf dem Fließband zu drapieren. Mit einem kleinen Seufzer des Protestes tat der Mann wie ihm befohlen. Zunächst schmiss er unmotiviert ein paar Flaschen stilles Wasser im handlichen Halbliterformat aufs Band, gefolgt von Grünzeug, bei dem nicht sofort zu erkennen war, ob es gegessen oder angepflanzt werden soll und ließ diesem schließlich ein paar Gläser Babynahrung folgen.
Beweisführung abgeschlossen. Gerne er hätte er, quasi von Mann zu Mann, dem gereizten Genossen mitfühlend die Hand auf die Schulter gelegt und gesagt: "Ich habe zwar keine Ahnung, wie das ist. Aber ich spüre den Schmerz! Du bist nicht alleine..."

Krasser Laden.
Oder sollte er vielleicht etwas deftiger anfangen? Praktisch gleich in die Vollen?
Dann könnte er ja vom letzten Kiez-Besuch berichten. Wie er relativ gemütlich mit den Kumpels im "Goldenen Handschuh" am Hamburger Berg zusammen saß und bei hochprozentigen Getränken dem gemeinen Pöbel bei der Wochenendgestaltung zusah.
Es dauerte nicht lange und eine Frau mittleren Alters der Marke "Frauentausch" gesellte sich zu ihnen. In völlig unverständlichen, biergetränkten Worten erzählte sie aus ihrem offensichtlich ziemlich verkorksten Leben. Und um die Aufmerksamkeit des männlichen Publikums zu gewährleisten, entblößte sie dabei in unregelmäßigen Abständen ihren Oberkörper.
Diese Art von Gesprächspartner und insbesondere diese Art der Gesprächsführung waren ihm selbst recht fremd und nach einigen weiteren Verstößen gegen traditionelle Knigge-Vorschriften wies er sie auch unmissverständlich darauf hin.
Als Antwort erntete er, mal wieder, eine Ohrfeige. Was die körperliche Gewalt durch Frauen anbelangte, hatte er seit einigen Wochen einen zweifelhaften Lauf.
Seinem vorsichtigen Protest gegenüber der Schlägerin folgte...eine weitere Ohrfeige. Wie gesagt, es läuft.
Da das Frauenmonster weiterhin keinerlei Bereitschaft zu einem Waffenstillstand zeigte und er sich den Freitagabend auch irgendwie anders vorgestellt hatte, sah er in dieser Sache erneut dringenden Handlungsbedarf. An dieser Stelle kam ihm seine langjährige Poker-Erfahrung zu Gute. Was macht man, wenn man offenbar schlechte Karten hat und dennoch als Gewinner vom Feld gehen möchte? Richtig: bluffen! Und so verließ folgender Satz seine Lippen: "Wenn Du mich noch einmal schlägst, schlage ich zurück!" Begleitet von einem, der Situation angemessenen, Pokerface.
Die Pummel-Prinzessin reagierte energisch: überraschend flink wuchtete sie ihre Körpermasse in eine stehende Position und baute sich vor ihm auf. Sie wirkte dabei wie eine Mischung aus Olympia-Ringer und angeschossenem Nashorn. In erneut schwer verständlichen Worten brachte sie ihren gestiegenen Unmut zum Ausdruck.
Er hegte berechtigte Zweifel an dem Erfolg seines Bluffs. Außerdem schätzte er seine Chancen auf einen Sieg nach Punkten gegen diesen körperlich überlegenen Gegner mittlerweile als eher gering ein.
Doch genauso schnell, wie sich die Dame empor geschleudert hatte, ließ sie sich nun wieder auf den bemitleidenswerten Holzstuhl fallen und kümmerte sich fortan nicht mehr um ihren Sitznachbarn.
Erstaunlich. Schwer zu sagen, ob der Bluff doch erfolgreich oder aber die Rubensbraut in Anbetracht der körperlichen Anstrengungen einfach nur erschöpft war.
Aber irgendwie ist es ja auch völlig egal, oder nicht?!

Vielleicht sollte er doch etwas ruhiger beginnen. Beispielsweise mit dem harmonischen Pärchen in der U1. Geradezu romantisch saßen sie dicht an dicht auf der Sitzbank des Abteils und waren in ein inniges Gespräch vertieft. Bemerkenswert daran war, dass das Männchen nicht nur höchst erschöpft und müde wirkte, sondern ganz offensichtlich auch ordentlich einen über den Durst getrunken hatte. Das etwas fitter wirkende Weibchen musste sich dabei in Sachen Blutalkoholwert keineswegs hinter ihrem Partner verstecken.
Die Unterhaltung der Beiden gestaltete sich entsprechend kryptisch. "Unterhaltung" war in diesem Zusammenhang vielleicht auch der falsche Begriff. Mittels ungewohnter Laute und Gesten verständigte sich das Alkopärchen und trieb den unfreiwilligen Zuhörern damit eine Flut von Fragezeichen in die Gesichter. Zwischenzeitlich erinnerte diese Art der Kommunikation an eine Herde Hausschweine, denen man soeben die Speisereste vom Schützenfest in den Trog geschmissen hatte. Eine Mischung aus grunzen, quieken und röcheln.
Den dramaturgischen Höhepunkt und gleichzeitig scheinbar inhaltlichen Tiefpunkt erreichte die Unterhaltung, als das Weibchen zu einem langatmigen Monolog ansetzte. Wie in Zeitlupe schlossen sich die Augen des Männchens und sein Kopf wurde von der Fensterscheibe des Bahnwaggons magisch angezogen um daraufhin in angenehm langsamer Geschwindigkeit an ihr hinab gen Boden zu sinken. Eigentlich fehlte bei dieser Szenerie nur dieser unangenehme Quietschton, den zum Beispiel auch Turnschuhe auf Turnhallenböden erzeugen.
Während man sich langsam Sorgen um die Nacken- und Rückenmuskulatur des Mannes machen musste, brabbelte das Weibchen weiter unaufhörlich ins Nichts. Allem Anschein nach entging ihr auch der (sehr) stille Protest des Partners. Erst als der Winkel zwischen seinen Oberschenkeln und seinem Oberkörper gefährlich nah an den einstelligen Bereich heran geriet, reagierte die Frau und weckte ihren Mann auf unromantische aber effektive Art und Weise.

Tja, die Auswahl würde ihm nicht leicht fallen. Variante A, das gesund lebende aber dennoch (oder deshalb) genervte Pärchen? Variante B, die freizügige Walküre mit schlagkräftigen Argumenten? Oder doch Variante C, das grunzende Akrobaten-Pärchen aus der U-Bahn? Schwierig.
Vielleicht ja auch lieber Tor vier, die ausführliche Diagnose seines Gesundheitszustandes mit anschließender Untersuchung defekter Hardware?
Aber irgendwie ist es ja auch völlig egal, oder nicht?!


2 Kommentare:

  1. Also ich konnte mich vor allem über Variante B und C köööööstlich amüsieren :D Klasse, klasse!

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    1. Moin Maribel!

      Variante B fand ich jetzt persönlich nur bedingt amüsant...aber im Nachhinein schon ganz lustig, hast Recht :)
      Danke für Dein Feedback!

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Danke für Dein Interesse!
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