Ein Blog aus Hamburg über Hamburg. Eine humorvolle Betrachtung des alltäglichen Treibens. Es geht um die Menschen und die Ereignisse in der Hansestadt. Die komischen Menschen und die komischen Ereignisse. Kleine Ereignisse in der großen Stadt. Leise Töne in einer lauten Umgebung. Amüsant, unterhaltend, manchmal wirr. Eben 'Tüdelkram from Hamburg'.



22. Oktober 2013

Des Meisters erstes Werk

Schon häufiger wurde mir von verschiedenen Quellen berichtet, dass die Hamburger U-Bahn im Vergleich zur S-Bahn wie ein Kindergeburtstag wirkt. Ein paar Schmunzler hier, ein paar Grinser dort. Aber die richtigen Knallergeschichten kann man eigentlich nur in der S-Bahn sammeln. Oder anders gesagt: das "S" steht für "Verrückte"!
Nun, dann und wann durfte ich mich bereits als Fahrgast der S-Bahn bezeichnen und gelegentlich sah ich diese Vorurteile durchaus bestätigt.
Doch heute muss ich diese Meinung, die ich beinahe selbst schon angenommen hatte, auf entschiedenste Art und Weise widerlegen.

Was ich gestern während der Fahrt mit der Linie S1 von Ohlsdorf bis Alte Wöhr (zwei Stationen) erleben durfte, ist mit Worten kaum zu erfassen. Eine Darbietung allererster Güte und höchster, poetischer Qualität. Es ist sicherlich kein Zufall, dass momentan im St. Pauli Theater auf der Reeperbahn ein Musical namens "Linie S1" aufgeführt wird.


Ohne besondere Erwartungen bestieg ich das Gefährt und erwartete bedächtig die ruckelige Beförderung an mein Fahrtziel. Die Melodei des Warnsignals, welche traditionell das Schließen der Türen annonciert, drang ohne Gegenwehr in meinen Gehörgang und die prophezeite Reise begann.
Und es war nicht nur diese kurze Reise, die ihren Anfang fand. Auch ein künstlerisches Spektakel, wie es auf dieser Welt nur einmalig sein kann, sollte nun beginnen.

Ich muss gleich anmerken, dass ich aufgrund des hohen Respekts und der grenzenlosen Hochachtung dem Künstler gegenüber, es nicht wagte, selbigen anzusehen. Ich fühlte mich spontan nicht würdig genug, um mit dem Maestro in Augenkontakt zu treten.
Worauf ich hinaus will (und das unterstreicht nochmals die Genialität des Poeten): die engelsgleiche Stimme, die meinen unwürdigen Ohren schmeichelte, war vielleicht vier oder fünf Jahre alt. Ein Naturtalent also und die Assoziation mit keinem geringeren als Wolfgang Amadeus Mozart war nicht von der Hand zu weisen und soll an dieser Stelle explizit herausgestellt werden.

Ohne besondere Vorankündigung begann der Komponist seinen Vortrag:

HALLO PENIS !
HALLO, HALLO, HALLO...PENIS !

Ergriffen horchte ich auf. Welch zauberhafter Klang war das? Worte in nie gehörter Kombination drangen zu mir durch und trafen meine Seele auf bislang ungeahnte Weise.
Auch die Mutter des Wunderkindes war außerstande, ein Wort zu sagen. Berührt und stolz harrte sie in schweigender Andacht neben der Frucht ihrer wohl heiligen Lenden aus.
Während ich spontan zu einem frenetischen Applaus ansetzen wollte, nahm die Poesie eine Fortsetzung:

HALLO PENIS !
HALLO, HALLO...KACKA !
HALLO KACKA !
 

Welch unerwartete, dramaturgische Wendung. Welch Geniestreich! Nicht im Traum hätte ich solche Zeilen texten können. Und dieses Wunderkind sprach die Worte, als wäre es das normalste der Welt. Penis und Kacka...eine Verbindung gleichermaßen abwegig wie auch einleuchtend. Genie und Wahnsinn stehen sich eben doch sehr nah.

In Strophe drei, soviel möchte ich vorweg nehmen, übertraf sich das Talent dann beinahe selbst.
Herr Kapellmeister, bitte schön:

HEUTE WAREN WIR MIT DEM KINDERGARTEN DRAUSSEN...WAREN WIR DRAUSSEN...MIT DEM KINDERGARTEN. UND DA HABE ICH...DA HABE ICH IN EINEN BECHER GEPINKELT.

Bravo! Bravissimo! Benissimo, Maestro! 
Die Tränen der Rührung und Begeisterung standen mir in den Augen. Eine Gänsehaut nahm Besitz von meinem ganzen Körper. Ich spürte einen Kloß in meinem Hals.
Gar zauberhaft war diese Darbietung. Individuell, einzigartig, genial! Ich sah bereits die farbenfrohen, plakativen Ankündigungen seiner zukünftigen Vorführungen. Mailänder Scala, Royal Albert Hall, Sydney Opera House, Broadway...er würde die ganze Welt begeistern.

Ich erreichte meine Haltestelle und wandte mich widerwillig dem Ausgang zu. Ach, wie gerne hätte ich den Worten des Maestros noch weiter gelauscht. Zum Abschied gab er dann aber sogar noch eine kleine Zugabe zum Besten:

MAMA, WIR WOHNEN IM STADTPARK !

Für einen kurzen, kaum spürbaren Moment hielt ich vor Begeisterung ein letztes Mal inne. "Mach es mir doch nicht so schwer.", dachte ich bei mir. Der Abschied schmerzte auch so schon zur Genüge.
Nahezu erschüttert musste ich noch vernehmen, wie seine Mutter, sein eigen Fleisch und Blut, Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der letzten Textpassage äußerte. Welch ein Frevel! Ich jedenfalls hatte ihm unverzüglich und ohne wenn und aber Glauben geschenkt.

Da stand ich nun. Einsam auf dem Bahnsteig. Aufgewühlt und weiterhin ergriffen. Minutenlang blickte ich dem Zug hinterher. Bis er nicht mehr zu sehen war. Und noch weiter.
Ich spürte die Träne über meine Wange laufen und schämte mich der Gefühle nicht. Wie in Trance hob ich meinen Arm und blickte sehnsüchtig gen Horizont:

Voller Vorfreude ging ich heut zur Bahn,
erwartete ein Gros an Witz und Wahn.
Doch völlig unerwartet,
hat ein Dichter sein Gedicht gestartet.

Die Worte wunderschön und lieblich,
die Botschaft ergreifend und friedlich.
Der Klang zog mich wehrlos in seinen Bann,
nie vergesse ich Dich, Penis-Kacka-Mann.


10 Kommentare:

  1. *KREEEEEEEEIIIIIIIISCHGRÖÖÖÖÖÖÖHHHL* Unfassbar!

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  2. Hallo Profatus,

    ich werde mir ein neues Hobby zulegen - S-Bahn fahren in Hamburg :-)

    Liebe Grüße
    Thomas

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    1. Moin Thomas!

      Ich wünsche Dir schon jetzt viel Spaß dafür. Und immer fleißig mitschreiben ;-)

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  3. Hahahahaha :D Mega Lachflash :D Geil! Grandios! :D
    Ich roll mich gleich auf dem Boden hin und her - ernsthaft!
    Bitte hör nicht auf so zu schreiben, verlier nie diesen unglaublich Charme, bitte!

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    1. Moin Maribel!

      Ganz lieben Dank! :)
      Ich werde mir Mühe geben.

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  4. So ein Pech, dass ich jeden Tag hauptsächlich U-Bahn in Hamburg fahre. Aber selbst da gibt es eine erlesene Auswahl an geistigen Ergüssen :P

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    1. Moin SteV!

      Da gebe ich Dir Recht. Der ÖPNV ist ganz allgemein eine der unterhaltsamsten Bühnen Hamburgs ;-)

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