Es war ein ziemlich gewöhnlicher Tag. Nicht besser oder schlechter als andere. Er begann mit einem vermutlich sehr ansehnlichen Sonnenaufgang, der aber von den meisten Menschen verschlafen wurde. Dann folgten Morgendusche, Stau, Hupen, Arbeit, Müdigkeit und endlich auch mal Feierabend. Nichts Besonderes also, es hätte auch beinahe jeder andere Tag des Jahres sein können. Aber es war nun mal dieser. Und genau zu diesem Zeitpunkt, der feierabendlichen Rückkehr ins traute Heim, spielt unsere Einleitung.
Zurecht darf man an dieser Stelle bereits fragen, was diesen scheinbar gewöhnlichen Tag dazu auserkoren hat, hier näher beschrieben werden zu dürfen.
Die Antwort soll folgen.
Erste Szene, Luftaufnahme. Die Kamera nähert sich dem Boden. Langsam erkennt man Schienen und eine Brücke. Vermutlich ein Bahnhof. Davor große Parkplätze. Zu groß für Autos. Busse, richtig. Eine Bushaltestelle vor einem Bahnhof. Ordentlich was los hier, es gibt definitiv kleinere Bahnhöfe. Jetzt erkennt man auch die Schrift auf dem Schild am Eingang der kleinen Halle: Lattenkamp. Daneben der Buchstabe "U" in blau. Die Kamera fährt nun über die Köpfe der wartenden Menschenmenge an der Bushaltestelle hinweg. Als würde sie etwas suchen. Oder jemanden.
Zielsicher bewegt sie sich auf den Eingang des Bahnhofes zu, um jedoch kurz vorher scharf rechts abzubiegen. Im Hintergrund sieht man eine Eisdiele, eine Straßenkreuzung, einen Fahrradstand. Kurz gesagt: nichts Besonderes.
Und dann ist da plötzlicher dieser Mann.
Er steht abseits der Menschenmenge. Allein. Keine Kopfhörer im Ohr. Kein Handy in der Hand. Nur eine Zigarette. Die andere Hand in der Hosentasche. Sein Blick scheint leer, die Augen wirken müde. Dennoch suchend. Abwechselnd blickt er auf den Boden, in den Himmel und auf die Menschen. Er mag sie nicht sonderlich. Sie sind laut, zu viele und manchmal dumm. Unfassbar dumm sogar. Da steht er lieber alleine und beobachtet alles aus sicherer Entfernung.
Aus dem Bahnhof ertönen plötzlich laute Geräusche. Ein Stimmenwirrwarr in unangemessener Lautstärke. Man kann seinen Augen und dem Kopf fast anmerken, wie es sie anstrengt, sich nach rechts zu bewegen. Als sie den Ausgang im Visier haben, kommen die Quellen des Lärms auch schon heraus. Eine Gruppe junger Menschen, in punkto Geschlecht und ethnischer Herkunft fast zu gleichmäßig gemischt. Sie lachen, sie schreien, sie nerven.
Er wendet seinen Blick ab, demonstrativ in die andere Richtung. Dabei zieht er kräftig an der Zigarette und bläst den Rauch mit einem tiefen Seufzer wieder heraus. Durch den Nebel hindurch fällt sein Blick auf die Litfaßsäule...
Unkreatives Geschmiere mit fragwürdigen Inhalten. Ist Lucu tatsächlich fett? Ob Stani stinkt ist sicherlich Geschmackssache. Und die unsägliche Buchstabenkombination "ACAB" hat beim Autoren bestimmt nur solange bestand, bis die uniformierten Kollegen auch mal sein Leben retten. Na ja, wie gesagt, die Menschen neigen zur Dummheit.
Aber der unauffällige Spruch dort in der Mitte erregt seine Aufmerksamkeit.
Zunächst muss man wohl festhalten, dass "der Kleine" von Felix alleine schon durch die weggelassene letzte Silbe an Länge verloren hat. Dumm!
Aber das ist es gar nicht, was ihn stutzig macht. Irgendetwas an dieser Botschaft beschäftigt ihn. Es beschäftigt ihn so sehr, dass er beinahe den einfahrenden Bus verpasst.
Nächste Szene, jetzt im Bus. Der Mann von eben sitzt nun zwischen den von ihm so verhassten Menschen. Er hört sie, riecht sie und ja, schmeckt sie beinahe. Doch dieses Mal stört es ihn gar nicht so sehr. Seine Gedanken hängen noch der Litfaßsäule nach. Er versucht immer noch, die Puzzlestücke zusammen zu setzen. Doch da reißen ihn die anderen wieder unsanft aus seinen Gedanken.
Neben ihm sitzt eine Frau mittleren Alters, die sich mit einer deutlich jüngeren Dame unterhält. Beide sehen, wie soll man es anders ausdrücken, ziemlich fertig aus. Ihre Gesichter und Stimmen erzählen mehr, als den beiden lieb sein dürfte. Das Leben und ihre Lebensweisen haben sie sicht- und hörbar gezeichnet. Fast könnte man Mitleid entwickeln, aber eben nur fast.
Inhaltlich dreht sich das unsägliche Gespräch um Geld, beziehungsweise Schulden. Die Ältere hat vom Erstgenannten zu wenig, von dem anderen zu viel. Sie klagt ihr Leid der Jüngeren, aber zwangsläufig leider auch allen anderen. Die Junge, immerhin, hat Mitleid. Sie hört aufmerksam zu und versucht zu helfen. Und sie wird helfen. Sowohl der Älteren, als auch dem Mann.
Die Alte: "Ich weiß auch nicht mehr weiter. Fällt Dir noch jemand ein?"
Die Junge: "Hmm, der Mike vielleicht."
Die Alte: "Mike, ja? Meinst Du?"
Die Junge" Das ist der einzigste, wo mir einfällt."
Die Alte: "Toll, dann frag den doch mal."
In diesem Moment fügten sich seine verwirrten Gedanken zu einem klaren Bild. Mike, der einzigste. Natürlich: Felix! Da war doch was!
Felix, Barmbek, Digga, Tüdelkram. Plötzlich war alles wieder da. Er musste schmunzeln. Diese ganzen Verrückten, wie hatte er sie vermisst. Dabei waren sie nie weg, sondern vielmehr er selbst.
Sein Blick schien nun viel lebhafter, als wolle er jeden einzelnen in diesem Bus mit den Augen umarmen. Hin und her blickte er mit einem Lächeln im Gesicht. Da, der versoffene Penner, dort, die eingebildete Blondine, hier, der peinliche Proll. Was für fantastische Menschen, für die sich nichts und niemand interessiert. Sie leben ihr meist klägliches Leben vor sich hin und bringen dabei so gut wie nichts Spannendes zu Stande. Aber das müssen sie auch gar nicht, denn es ist ihr Leben selbst, das sie spannend macht. Und er war ihr Protokollant.
"Ich bin zurück", dachte er. Dann hörte er ihnen wieder zu.
Ein Blog aus Hamburg über Hamburg. Eine humorvolle Betrachtung des alltäglichen Treibens. Es geht um die Menschen und die Ereignisse in der Hansestadt. Die komischen Menschen und die komischen Ereignisse. Kleine Ereignisse in der großen Stadt. Leise Töne in einer lauten Umgebung. Amüsant, unterhaltend, manchmal wirr. Eben 'Tüdelkram from Hamburg'.
Oooh, was freu ich mich, als ich hier gerade durch deinen Blog stöbere und plötzlich Beiträge von 2017 finde. Gefunden habe ich deinen Blog schon vor ein oder zwei Monaten, und habe soeben den letzten Beitrag durchgelesen. Und jetzt sitz' ich hier mit einem Lächeln im Gesicht und freu' mich, dass du wieder da bist.
AntwortenLöschenIch werde regelmäßig hier sein, wenn auch oft nur als stiller Leser.
Willkommen zurück!
Moin!
LöschenDas freut mich zu hören. Danke für die netten Worte.
Ich hoffe, ich kann auch genauso regelmäßige neue Geschichten liefern.