Ein Blog aus Hamburg über Hamburg. Eine humorvolle Betrachtung des alltäglichen Treibens. Es geht um die Menschen und die Ereignisse in der Hansestadt. Die komischen Menschen und die komischen Ereignisse. Kleine Ereignisse in der großen Stadt. Leise Töne in einer lauten Umgebung. Amüsant, unterhaltend, manchmal wirr. Eben 'Tüdelkram from Hamburg'.



2. März 2013

Knapp vorbei ist auch daneben!

HVV - der Hamburger Verkehrsverbund. Wie man in einigen Quellen, vorzugsweise Wikipedia, nachlesen kann, handelt es sich um den ältesten Verkehrsverbund der Welt (gegründet 1965) sowie auch eines der größten, einheitlich betriebenen Verkehrsnetze der Welt.Eigentlich fast nicht zu glauben. Vielleicht stand ja schon mal jemand vor einem U-Bahn-Übersichtsplan von New York, London oder auch Berlin. Er oder sie wird mir sicher zustimmen, dass eine Assoziation mit komplexen Werken von Dali oder Picasso nicht von der Hand zu weisen ist. Beim Linienfahrplan der Hamburger U-Bahnen fühlt man sich dann doch eher an "Malen nach Zahlen" erinnert.

Aber man darf ja nicht vergessen, dass der HVV noch sehr viel mehr ist. Er hat seine Fühler weit über die Hamburger Stadtgrenzen hinaus ausgestreckt. So erreicht man über die vom HVV oder einer seiner Tochtergesellschaften betriebenen Linien unter anderem auch das niedersächsische Lüneburg, das schleswig-holsteinische Norderstedt oder auch dermaßen entlegene Flecken, die schon gar nicht mehr nach Ortschaften benannt sind, da es in der Nähe keine gibt. Ein schönes Beispiel ist die Haltestelle der AKN (Bummelbahn Richtung Norden) namens "Holstentherme-Dodenhof", gleich hinter Kaltenkirchen. Hierbei handelt es sich lediglich um die Bezeichnung des dort gelegenen Wellness-Bades "Holstentherme" sowie dem Möbelhaus "Dodenhof".
Der HVV unterhält sogar eine Flotte von Fähren, so dass man selbst auf dem Seeweg zum Kaffeetrinken nach Blankenese, zum Weinen ans Steuergeld-Mahnmal Elbphilharmonie oder, wenn es denn sein muss, in Gefilde am Südufer der Elbe fahren kann.

Eigentlich könnte ich jetzt noch einen netten Schluss formulieren, in dem ich in persönlichen Worten dem HVV nochmals meine Bewunderung ausdrücke, den Beitrag speichern, veröffentlichen und wie gewohnt die nächsten Stunden alle 2 Minuten den "Refresh-Button" im Statistik-Bereich drücken, um die Seitenaufrufe und Kommentare zu verfolgen.

Das wäre allerdings für alle Beteiligten viel zu langweilig und außerdem entspräche es nicht der Wahrheit. Denn dieser Beitrag soll keine Lobeshymne auf den HVV werden. Um das aber auch gleich klar zu stellen: ich will den HVV nun auch nicht generell schlecht machen. Er bringt mich schließlich zuverlässig morgens zur Arbeit und, noch viel wichtiger, abends wieder nach Hause. Oder am Wochenende auf eine der diversen Partymeilen...von wo aus ich dann mit dem Taxi wieder nach Hause fahre, weil ich nachts aus unerfindlichen Gründen fast immer 17 Minuten auf die nächste Bahn warten muss!!!

Stein des Anstoßes ist ein Artikel, den ich gestern in der Onlinepräsenz der Hamburger Morgenpost gelesen habe. Auch auf der Onlineseite des Hamburger Abendblatts war er, leicht gekürzt, zu lesen. Titel: "Bus-Einstieg vorn: Zehn Millionen Euro weniger Verlust"
Klingt ja erst mal super. Im Detail betrachtet aber der größte Schwachsinn, der mir in letzter Zeit unter die Augen gekommen ist!

Hinweisschild an vielen Hamburger Bussen und Bushaltestellen

Nehmen wir zunächst die im Artikel genannten Fakten und Zahlen auseinander. Die Kernaussage ist, dass seit Einführung des "vorn Einsteigens" vor einem Jahr in Bussen die Schwarzfahrerquote von 4,5% auf 2,5% gesenkt werden konnte und dadurch 10 Millionen Euro weniger Verlust verzeichnet worden ist. Ja...und nun?
Das sagt doch erst mal nur aus, dass also heutzutage eine ganze Reihe Schwarzfahrer weniger durch Hamburgs Straßen kutschiert werden. Mehr nicht. Denn ob diese ehemaligen Schwarzfahrer nun alle brav vorne beim Fahrer ein Ticket kaufen, geht aus diesem Artikel nicht hervor und ist meiner Meinung nach auch nicht der Fall. Viel mehr werden die 2-3 Euro für das Ticket wohl eher zu Penny, Aldi oder Rewe getragen, wo man sich dann das "Bier für´n Weg" holt und die geplante Strecke einfach zu Fuß zurücklegt. Gerade hier bei mir auf der Ecke gibt es so einige Patienten, die ich seit ziemlich genau einem Jahr nicht mehr im Bus gesehen habe.
Oder um es anders auszudrücken: der Betrag, der dem HVV Jahr für Jahr im Geldbeutel fehlt, ist jetzt etwas kleiner geworden. Fehlen tut er aber immer noch. Denn der Betrag, der dem HVV jährlich zufließt, ist dadurch ja nicht automatisch größer geworden.
In diesem Zusammenhang erscheint das folgende Zitat umso lächerlicher. Lutz Aigner, Geschäftsführer der HVV GmbH, sagt: "Durch den Einstieg vorn konnten Mehreinnahmen erzielt werden, die wir für weitere Kapazitätsausweitungen dringend brauchen."
Hallo? Da hat wohl jemand nicht aufgepasst. Welche Mehreinnahmen? Oder redet er noch von einer der unzähligen Tariferhöhungen in den letzten Jahren?

Aber wenigstens spielt mir Herr Aigner den nächsten Ball zu: für Kapazitätsausweitungen dringend benötigtes Geld.
Ja, ok, grundsätzlich hat dieser Plan meine volle Zustimmung. Im Detail betrachtet ist diese Aussage aber eine erneute Frechheit!
Warum wird das Geld denn so dringend benötigt? Mal sehen, wo wurde in letzter Zeit denn viel Geld investiert...tja...also die Stadtbahn wurde ja gestrichen...mal überlegen...die Bahntaktung ist immer noch gleich schlecht...denk nach...ach ja: die U4!
Sicherlich kein Zufall, dass diese "neue" Bahnlinie in das Viertel der Elbphilharmonie führt...ohne diese übrigens direkt anzubinden, um das nebenbei gleich mal anzumerken!
Unterm Strich verdanken wir der "Linie" U4 ganze zwei (ich wiederhole: zwei!) neue Bahnstationen: "Überseequartier" und "HafenCity Universität (HCU)". Kleine Randnotiz: das Gebäude der HCU ist noch nicht fertiggestellt. Aber das wie gesagt nur am Rande.
Alle anderen Haltestellen der U4 waren bereits vorhanden, denn die Linie verläuft exakt parallel zur bereits bestehenden U2, bzw. eines Teilabschnittes der U2.
Da frage ich doch mal ganz direkt: was soll das? Spontan sehe ich nur einen Vorteil: der Bauarbeiter aus Billstedt kann direkt von zu Hause aus zur HCU-Baustelle durchfahren. Ist natürlich nicht schlecht und ich freue mich für ihn. Aber rechtfertigt das Kosten in Höhe von insgesamt 323,6 Millionen Euro (Schätzung)? Für zwei neue Stationen auf vier Kilometer Länge?
Ich muss an dieser Stelle natürlich ehrlicherweise erwähnen, dass der Bund hiervon 126 Millionen übernommen hat und auch eine Erweiterung der Linie U4 bis hin nach Harburg südlich der Elbe Bestandteil der Planung ist.
Nichtsdestotrotz stehen derzeit enorm hohe Kosten für eine enorm kleine Erweiterung zu Buche.
Und das, lieber Herr Aigner, sind echte Beträge. Das ist richtiges Geld, das sie irgendwem anderes in die Hand gedrückt haben. Das können sie mit "weniger Verlust" nicht ausgleichen. Nicht mal mit 10 Millionen Euro weniger Verlust. Nicht mal, wenn das 10 Millionen Euro mehr Gewinn gewesen wäre!

An dieser Stelle des Artikels dachte ich bereits, dass es sich bei diesen wenigen Zeilen bereits um eine fast unverhältnismäßig hohe Anzahl an Aufregern handelte. Eigentlich nicht mehr zu toppen. Doch dann wurde Dr. Thomas Becker, Vorstand der Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein AG, zitiert. Dieser gab zum Besten: "Wir freuen uns über einen noch intensiveren Kundenkontakt. Durch den Einstieg vorn mit dem Vorzeigen des gültigen Fahrausweises bei unseren Busfahrerinnen und Busfahrern entwickelt sich ein noch direkterer Draht zu unseren Kunden, das wissen wir sehr zu schätzen.“
Bitte was??? Folgende drei Wörter passen hier schon mal gar nicht zum Thema: freuen, intensiv und Kundenkontakt! Theoretisch auch noch "Busfahrerinnen"...aber dazu lest bitte meinen Post "Mission:Bus".
Ich weiß ja nicht, was Ihr so für Erfahrungen mit dem "vorne Einsteigen" gemacht habt. Aber ich beobachte bei Busfahrern eigentlich nur drei Reaktionen auf das Vorzeigen der Karte. Genau genommen sogar nur 2,5 Reaktionen.
Ein ganz, ganz, ganz (!) kleiner Teil der Chauffeure schaut sich das Ticket tatsächlich an, prüft es mit einem geschulten Blick und bedankt sich manchmal sogar noch dafür. Die überwiegende Mehrheit der Fahrer aber straft einen entweder mit Ignoranz oder aber fühlt sich aufgrund des Vorzeigens persönlich angegriffen. Würde man nur ein Foto dieses Einsteigevorgangs sehen, könnte man die Protagonisten aufgrund ihrer Mimik und Gestik mit folgenden, passenden Sprechblasen versehen:

Gast: So, Busfahrer, du denkst also ich fahre schwarz? Hier bitte, mein Ticket. Was sagst du nun?
Fahrer: Was? Ich hab doch gar nichts gesagt. Mir doch auch egal, ob du bezahlst oder nicht!
Gast: Ach ja? Aber ich soll doch vorne einsteigen. Also hier, bitte. Meine Karte. Guck hin!
Fahrer: Das ist ja wohl eine bodenlose Frechheit, diese Unterstellung!
Gast: War aber nicht meine Idee! Du bist schuld! Alles reine Schikane!
Fahrer: Ach hau doch ab!

Also ich erkenne hier keine Freude.
Auch die Bezeichnung Kundenkontakt erscheint mir hier falsch am Platz. Auch wenn dieser Begriff ja zunächst einmal sehr gefühlsneutral daherkommt, impliziert er ja doch ein klassisches "Verkäufer-Käufer-Verhältnis", bei dem der Verkäufer den Käufer sogar in der Service-Wüste Deutschland für gewöhnlich einigermaßen nett und respektvoll behandelt. Der Busfahrer an sich verhält sich aber mehr wie Mama oder Papa, die man damals nach der ersten Party nachts um 3 Uhr aus´m Bett geklingelt hat, um sich abholen zu lassen, weil man total betrunken war und nicht mehr wusste, wie man nach Hause kommen soll.

Mit etwas gutem Willen könnte man die Bezeichnung "intensiv" in Anbetracht der obigen Ausführungen gelten lassen. Aber auch damit habe ich so meine Schwierigkeiten. Denn alleine die Tatsache, dass ich nun jedes Mal den Fahrer auch zu Gesicht bekomme, wenn ich Bus fahre, würde ich nicht gerade als "intensiven" Kontakt bezeichnen. Ehrlich gesagt hätte ich in Einzelfällen auf diesen Anblick auch sehr gerne verzichtet.

Zum Schluss muss ich wohl eingestehen, dass ich selbst an diesem ganzen Dilemma schuld bin. Denn eigentlich hätte ich diesen Artikel gar nicht erst lesen müssen. Eigentlich sogar nicht lesen dürfen! Denn dem Artikel vorangestellt ist ein Foto, dass die fiktive Szenerie "freundlicher Kundenkontakt beim vorne Einsteigen" darstellt. Und die Bildunterschrift hätte mir Warnung genug sein müssen: "Seit knapp März 2012 müssen alle Fahrgäste in Bussen vorne einsteigen [...]" 

Knapp...ein passendes Wort. Beschreibt den ganzen Artikel: kurz und knapp. Knapp vorbei!

1 Kommentar:

  1. Haha, auch ich habe spontan an deinen Pilotversuch gedacht, als ich diesen Satz hier las: "Wir freuen uns über einen noch intensiveren Kundenkontakt"...

    Eure neue U4 Linie ist mir auch ein Rätsel, stimme ich vollkommen zu. Sowohl aus betriebswirtschaftlicher als auch als Sicht "Service Public" macht die U4 überhaupt keinen Sinn.

    Bei uns verstehen wir die Bahnunternehmen (SBB) auch nicht. Fakt ist, vom Staat stark subventionierte Unternehmen wie die Bahn werfen Geld nur so aus dem Fenster, die Kosten für ihre Projetkte sind oft nicht nachvollziehbar. Züge kommen nicht mehr pünktlich, der Komfort lässt auch nach usw. Und die haben noch den Mut, jedes Jahr die Abokosten unverhältnismässig zu erhöhen.

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