Schnell den Stift fallen gelassen, Rechner aus, Jacke an, raus! Beim Rausgehen noch schnell ein "Ihr könnt mich alle mal!" in die Runde geworfen. Also sinngemäß, versteht sich. Wortwörtlich war es eher ein "Tschüss und schönen Feierabend!". Aber man muss zwischen den Zeilen lesen.
Endlich draußen, die Ketten der volkswirtschaftlichen Sklaverei für ein paar Stunden abgelegt. Rasant geht´s zur Hochbahn. Doch Moment, haltet ein! Ein bisschen Kleingeld wäre nicht schlecht und der Nikotinvorrat neigt sich auch dem Ende entgegen.
Praktischerweise gibt es direkt hinter der Bahnstation "Baumwall" sowohl einen Haspa-Automaten als auch einen Kiosk, der jede Menge legale Drogen im Sortiment führt. Und idealerweise liegen diese beiden Stätten auch noch direkt nebeneinander. Perfekt!
Erste Schwierigkeiten traten allerdings bereits bei der Bargeldbeschaffung auf. Der Pin-Code war flott eingegeben und ich wartete auf den Auswahlbildschirm für den Wunschbetrag. Doch es tat sich nichts. Och nö, schon wieder pleite? Kann doch gar nicht sein. Ich dachte kurz nach: ja doch, kann sein. Verdammt! Aber halt, irgendwas hatte ich doch vergessen. Was hatte ich gedrückt? Den Befehl "Auszahlung" und danach die vier Ziffern zum Glück. Und was hatte ich nicht gedrückt? Richtig, das Bestätigungsfeld. Idiot!
Die Taschen vollgestopft mit 50-Euro-Scheinen, die zusammen einen Wert von exakt 50 Euro ergaben, ging es nun also zum Nachbarn des Automaten. Glücklicherweise war fast nichts los im Kiosk. Nur eine junge Dame stand an der Kasse, die übrigen Kunden standen vor der Tür am Stehtisch und genossen alkoholische Kaltgetränke.
Trotz allem hatte ich ein ungutes Gefühl. Die Kundin am Schalter wirkte etwas unruhig und die Kiosk-Tante hatte den Paketabholschein eines bekannten Kurierdienstes in der einen und ein Telefon in der anderen Hand. Verdächtig.
Ich reihte mich aber zunächst zuversichtlich hinter der jungen Dame ein und hoffte auf eine baldige Abwicklung meiner Kaufabsichten.
"Ich kann sonst auch morgen noch mal wiederkommen, wenn da jetzt keiner ist.", sagte die Kundin.
Meine Hoffnungen stiegen.
"Nein, nein, ich versuch das noch mal.", erwiderte die Kiosk-Tante.
Meine Hoffnungen schwanden wieder.
In diesem Moment kamen zwei Herren von draußen herein, offenbar waren die Kaltgetränke ausgegangen. Während einer der beiden das Leergut in der einen Ecke des Kiosks verstaute, machte sich der andere über den üppigen Kühlschrank her, um Nachschub zu organisieren.
Und dann ging plötzlich alles ganz schnell.
Zuerst klingelte das zweite Telefon der Kiosk-Tante, die den Paketabholschein daraufhin auf den Tresen legte und sich nun auch den anderen Hörer ans noch freie Ohr drückte.
Fast gleichzeitig - Klirr - rauschte dem Herren neben mir eine Flasche Kaltgetränk auf den Boden und zerbrach in etliche Teile nebst 0,33 Liter Flüssigkeit.
"Oh nee, dafür hab ich jetzt keine Zeit!", entfuhr es der Kiosk-Tante mit den Stereo-Telefonen.
"Ich kann sonst auch morgen wieder kommen.", wiederholte die Kundin abermals.
"Ich mach das selber weg!", sagte der Mann und verschwand, offenbar ortskundig, im Hinterzimmer.
In diesem Moment fühlte ich mich ein bisschen wie die versteckte Kamera. Also wirklich, genau wie die Kamera selbst. Irgendwie teilnahmslos in einer kuriosen Szenerie, die dem legendären Loriot sicher Spaß bereitet hätte. Vielleicht hatte er es von oben ja auch beobachtet.
Der Bierzerstörer kam in diesem Moment aus dem Hinterzimmer, bewaffnet mit Besen und Kehrblech. Eine durchaus ungewöhnliche Apparatur, um eine Bierpfütze zu beseitigen. Doch der zweite Herr hatte mitgedacht und folgte mit einem Wischmopp. Ok, alles zusammen genommen machte nun durchaus Sinn.
Die Kiosk-Tante hatte jedenfalls genug Zeit, sich dem Gesprächspartner am rechten und der Warteschleife am linken Ohr zu widmen, während die Herren den Kiosk feudelten.
Die Kundin übrigens huschte immer mal wieder vor mir lang und streckte ihren Hals, um mit den Worten "Ich stehe im Halteverbot" regelmäßig draußen nach ihrem Automobil zu schauen.
"WAS ZUM TEUFEL IST DENN EIGENTLICH LOS HIER???", wäre es fast aus mir herausgeschossen. Aber ich konnte mich beherrschen und wurde überdies auch dank des Telefonats der Kiosk-Tante zügig aufgeklärt.
"Ja, hallo. Du, hier steht die Frau *piep* wegen der Matratze. Ja. Und ich habe ihr schon gesagt, dass ja gestern der Herr *piep* hier war und die bereits abgeholt hat. Und nun erfahre ich gerade, dass der gar keine Berechtigung dazu hatte. Der hat wohl den Abholschein geklaut. Ja! Und ich weiß nun ja auch gar nicht, ob der wirklich so hieß."
Bitte melde Dich! |
"Krank, oder? Wer macht denn sowas?", fragte mich auch die Dame, als sie merkte, dass ich erstaunt dem Gespräch lauschte.
Gerade wollte ich irgendwas erwidern, dass mein Staunen zum Ausdruck bringen sollte, da wurden meine Gedanken jäh von der Kiosk-Tante unterbrochen.
"Also sie müssen doch zur Polizei gehen. Aus unserer Sicht haben wir alles richtig gemacht..."
"Ja ja, sie können nichts dafür. Das weiß ich."
"Ja, leider. Der hatte halt den Abholschein und eine Personalausweis. Das war soweit alles korrekt. Tut mir leid."
"Ja ja, kein Problem. Können sie den Schein bitte noch für mich kopieren?"
Die Herren mit der Bierpfütze hatten zwischenzeitlich ihre Arbeit beendet und trugen nun die noch heilen Flaschen nach draußen zur wartenden Meute.
Hinter mir stand mittlerweile ein weiterer Herr, der nun Gesellschaft von einem Freund bekam.
"Was machst Du denn hier so lange?"
"Ich will nur Zigaretten holen, aber das zieht sich wohl noch etwas."
Daraufhin berichtete er seinem Kumpel noch mal die gesamte Geschichte und dieser hatte dann die Idee des Tages: "Wir können ja mal unter der Brücke an der Helgoländer Allee nachsehen, ob da 'ne neue Matratze liegt."
Ja genau, die Obdachlosen unter der Brücke. Die sammeln natürlich nur deshalb tonnenweise Pfandflaschen und betteln rund um die Uhr, um sich gefälschte Ausweise zu kaufen, mit denen sie dann Matratzen klauen können. Potztausend, warum ist mir das nicht gleich eingefallen!?!
So langsam näherte sich der skurrile Akt seinem Ende. Die Kiosk-Tante überreichte der Frau ohne Matratze die Fälschung...Pardon...die Kopie des Beweisstücks A, woraufhin diese eilig zum verboten geparkten Kraftfahrzeug lief.
Nun endlich durfte ich also auch mal was sagen. Dachte ich jedenfalls.
"Was soll ich da machen? Der hatte den Abholschein und einen Ausweis. An sowas denkt doch niemand."
Äh...bin ich von der Polizei, oder was? Kann ja sein, dass Jan Fedder a.k.a. Oberkommissar Dirk Matthies und ich dieselbe Konfektionsgröße haben aber das war´s dann auch schon.
"Und entschuldigen sie bitte, dass es so lange gedauert hat."
"Na dann zieh' es doch jetzt noch unnötig weiter in die Länge!", wäre es mir fast rausgerutscht. Stattdessen äußerte ich lediglich mein Verständnis sowie die Drogenbestellung.
Zeitaufwand: ca. 30 Minuten
Zigaretten: 4,80 Euro
Nach langer Zeit mal wieder richtigen Tüdelkram für den Blog erleben: unbezahlbar
Die alltäglichen Erlebnisse sind doch die Besten. :D Wenn man denn dann über die Situationskomik lachen kann.
AntwortenLöschenViele Grüße
ACunicorn
Ich hätte es mal filmen sollen, so wäre es sicher am Besten rüber gekommen :-)
LöschenIch hoffe aber, dass ich es einigermaßen angemessen vermitteln konnte.
Schöne Grüße zurück!
Witzige Geschichte, die der Alltag so schreibt, auch wenn dein Intro doch relativ lang war ;)
AntwortenLöschenVerstehe ich den Satz nicht oder kann ich nicht kopfrechnen:
"Die Taschen vollgestopft mit 50-Euro-SCHEINEN, die zusammen einen Wert von exakt 50 Euro ergaben.."
Also wenn Du zu dem Ergebnis kommst, dass ich nur einen einzigen Schein bei mir hatte, dann hast Du richtig gerechnet.
LöschenNur noch mal ein lustig gemeinter Hinweis auf meine Armut (Spendenkonto folgt). Auch ohne Poker :)
Falls du dich gerade fragst, und als aufmerksamer Beobachter gehe ich sehr stark davon aus, dass du das machst, warum ich meinen "Namen" habe ändern lassen: Ich habe neue Einstellung drin, damit man mich nicht findet wenn man meinen Namen eingibt, war vorher aber der Fall ;) Halte nichts von SEO ;)
AntwortenLöschenHatte sogar schon nach der Bedeutung gegoogelt...ohne Erfolg.
LöschenGut versteckt ;)
Ahhh, grade auf deinen Blog gestoßen und ich bin einfach nur absolut begeistert :) Ich liebe Hamburg! Meine absolute Lieblingsstadt. Ich komme aus Hessen und ich liebe ebenfalls meine Heimat, aber mein Herz gehört einfach dem Norden! Ich blogge auch sehr viel über Hamburg, da ich sehr oft da bin. Mein bester Freund kommt noch ein bisschen weiter aus dem Norden und wohnt jetzt in Hamburg, dort besuche ich ihn so oft es geht und ich werde ab Ende Juni sogar 4 Wochen dort wohnen um mein Praktikum da zu machen. Und wenn alles klappt, wie ich es mir vorstelle, werde ich nächstes Jahr nach meiner Ausbildung auch nach HH ziehen! :)
AntwortenLöschenDementsprechend bin ich super angetan von deinem Blog :) Schön, schön, schön - weiter so!
Die aller liebsten Grüße xx
Maribel Skywalker - Music&Lifestyle Blog
Moin Maribel!
LöschenVielen Dank für den netten Kommentar. Freut mich, dass Dir mein Blog und "meine Stadt" so gut gefällt.
Liebe Grüße nach Hessen.