Ein Blog aus Hamburg über Hamburg. Eine humorvolle Betrachtung des alltäglichen Treibens. Es geht um die Menschen und die Ereignisse in der Hansestadt. Die komischen Menschen und die komischen Ereignisse. Kleine Ereignisse in der großen Stadt. Leise Töne in einer lauten Umgebung. Amüsant, unterhaltend, manchmal wirr. Eben 'Tüdelkram from Hamburg'.



30. Juni 2013

Sentimentaler Sonntag

Bereits seit einigen Jahren vertrete ich die Meinung, dass die Welt schon ziemlich verrückt ist.
Oder zumindest verrückt geworden ist. Und wer mich einigermaßen gut kennt, hat den folgenden Satz sicher schon öfter von mir gehört: irgendwann in der Evolution ist der Mensch falsch abgebogen!
Ich will damit gar nicht sagen, dass früher alles besser war. Ganz bestimmt nicht. Aber mir scheint, als sei bei großen Teilen der Erdbevölkerung akute und schwerwiegende Langeweile ausgebrochen.

Die Nahrungsaufnahme ist weitestgehend gesichert, die medizinische Versorgung ist größtenteils gegeben und lebensbedrohliche Gefahren sind überwiegend ausgeräumt oder zumindest unter Kontrolle. Ja ok, Bewohner von sogenannten Krisengebieten werden das vermutlich nicht unterschreiben, aber ich beziehe mich mit derartigen Äußerungen natürlich nur auf Regionen, die mir einigermaßen vertraut sind. Und in eben solchen Regionen geht es doch heutzutage nur noch um Geld, Karriere, Ansehen und Macht. Und danach kommt erst mal nichts mehr. Immer höher, schneller und weiter.

Aber ich schweife gerade zu sehr ab in Richtung eines Rundumschlags gegen die Menschheit. Und das will ich ja gar nicht. Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein. Und das bin ganz sicher nicht ich. Was mir jedoch in diesem Zusammenhang Kopfschmerzen bereitet, ist die Tatsache...nein, Moment...es ist meine Vermutung, dass jede Menge Leute mit der Gesamtsituation nicht mehr zurecht kommen. Einerseits habe ich dafür absolutes Verständnis. In einer Zeit, in der Ed-Hardy-Schaufensterpuppen aus Gesangswettbewerben oder kreischende Hungerhaken aus Model-Wettbewerben die neuen Helden sind, ist es verständlicherweise ziemlich schwierig, den richtigen Fokus auf die Dinge bei zu behalten. Aber andererseits ist das vielleicht auch schon die Problematik der ganzen Situation. Wir verlieren den Blick für das Wesentliche, das Wichtige.
Und auch wenn ich relativ sicher bin, dass der Großteil der Menschen hierdurch keinerlei Nebenwirkungen spürt, glaube ich dennoch, dass es auch eine Vielzahl an "Opfern" dieses Lebenswandels gibt. Und diese teilen sich meiner Meinung nach in zwei Lager auf: da haben wir auf der einen Seite die Leute, denen das alles einfach zu viel wird und die nicht mehr richtig klar kommen. Und auf der anderen Seite die Leute, die bei dieser Sache voll mitmachen und ihre Prioritäten auf letztlich belanglose Dinge setzen. Manch einer von der zweitgenannten Gruppe scheint mir dabei etwas abgehoben zu sein und benötigt dringend mal wieder etwas Bodenhaftung.

Am letzten Mittwoch bot sich mir zu dieser Thematik ein herrlich symbolisches Bild. Ich befand mich (mal wieder) in der U-Bahn.
Das ist aber auch einfach ein herrlicher Ort, um seine Mitmenschen und die Gesellschaft als Ganzes besser kennen zu lernen! Ich wage zu behaupten, dass wir uns diese ganzen, logistisch aufwendigen, Volksbefragungen à la Mikrozensus durchaus sparen könnten. Lassen wir doch einfach die U-Bahn-Kontrolleure in den Großstädten jeden Morgen ein paar Befragungen nebenbei durchführen. Bis zum Mittag hätten wir alle nötigen Infos beisammen.

Aber zurück zur Szenerie. Ich saß also in der U-Bahn. Und zwar ganz hinten im Waggon, hinter mir nur die Wand und nach vorne freie Sicht über den kompletten Wagen.
Als erstes fiel mir ein Mann im besten Alter auf. Wie soll man ihn beschreiben? Ich würde sagen: sehr trendy, ziemlich nah am Hipster. Auf dem Kopf eine angesagte und sogenannte Schiebermütze, den restlichen Körper präsentierte er komplett im modischen Denim-Look (da dies hier keiner der unzähligen Fashion-Blogs ist, möchte ich Euch bitten, die möglicherweise unbekannten Begriffe selbst zu recherchieren. Danke!). Dazu dann natürlich noch eine angemessene Gesichtsbehaarung und Möchtegern-Bikerboots. Des Weiteren war er bepackt mit zwei üppigen Reisetaschen. Cooler Typ, könnte man jetzt meinen. Dachte ich auch erst. Doch dann tat er etwas, was mich, vorsichtig ausgedrückt, etwas stutzig machte: er putzte sich die Zähne! Mit einer Zahnbürste...in der U-Bahn. Also Respekt für dieses vorbildliche Hygiene-Verständnis, aber ist das normal? Ich denke nicht.

Als nächstes, und wir befinden uns noch immer im selben Waggon, fiel mir die Dame im mittleren Alter auf, die mir schräg gegenüber saß. Voll bepackt mit Einkaufstaschen und ansonsten eher unauffällig, tat auch sie etwas eher Ungewöhnliches: sie weinte.
Also jetzt kein zerreißendes Schluchzen und Wimmern, aber ihr liefen unaufhörlich die Tränen über das Gesicht. Eine unangenehme Situation...für uns beide. Spontan wuchs in mir der Drang, sie nach dem allgemeinen Befinden zu befragen. Aber ich überlegte kurz: kann ich wirklich mit jeder möglichen Antwort angemessen umgehen? Bin ich auf alle Eventualitäten vorbereitet? Ist die U-Bahn der richtige Ort für derartige Gespräche? Bin ich der richtige Gesprächspartner für derartige Gespräche? Und will sie das überhaupt?
Ich antwortete mir selbst mit einem ziemlich deutlichen "Nein" auf alle diese Fragen. Ich wollte ihr dann wenigstens ein Taschentuch rüber reichen, sozusagen als symbolischen Akt meiner Anteilnahme an was auch immer, musste dann aber feststellen, dass ich keines dabei hatte.

Ich ließ meinen nun zugegebenermaßen etwas unsicheren Blick durch die übrigen Sitzreihen schweifen und sah in die immer selben, grimmigen und ausdruckslosen Gesichter. Man konnte davon ausgehen, es war etwa 18 Uhr, dass die meisten dieser Leute gerade von der Arbeit kamen. Und die Anspannung, der Stress und die Müdigkeit waren eigentlich allen ins Gesicht geschrieben. Kein Lächeln weit und breit.

Nur einer lachte. Ein einziger Mensch in diesem ziemlich vollbesetzten Wagen lachte und freute sich. Und das alleine war zwar schon ungewöhnlich aber noch nicht mal das Erstaunlichste an der Geschichte. Denn diese Person, es war wieder ein Mann im besten Alter, saß in einem Rollstuhl. Und zwar in so einem richtig fetten und vollausgestatteten Ding. Mit Motor und Blinker. Man kann vermutlich davon ausgehen (und sah es für mich auch aus), dass er außer seinem Kopf kaum noch Körperteile bewegen konnte. Also scheinbar gerade genug, um sein Gefährt bedienen zu können. Und ausgerechnet dieser Mensch lachte. Und zwar amüsierte er sich über die quietschenden Geräusche, die sein Rollstuhl machte, jedes Mal wenn die Bahn etwas durchgeschüttelt wurde.

Könnt Ihr mir folgen? Versteht Ihr, was ich meine?
Ich kenne natürlich nicht alle Hintergründe. Ist der Zähneputzer wirklich nicht ganz richtig im Kopf? Waren wirklich alle Leute in dem Zug schlecht drauf? Und war ich vielleicht der merkwürdigste Typ von allen, weil ich scheinbar teilnahmslos neben einer weinenden Frau saß?
Aber ich sah mich hier einfach in vielen meiner Gedanken bestätigt. Die scheinbar gut versorgten (teure Garderobe bei ihm, volle Einkaufstaschen bei ihr) und gesunden Menschen sind etwas neben der Spur und/oder unglücklich. Und der einzige Mensch, dem es augenscheinlich schlecht zu gehen scheint, ist positiv gestimmt und lacht.
Und genau davon rede ich. Da stimmt doch irgendwas nicht. Muss uns etwa erst großes Unglück wiederfahren, damit wir merken, was wirklich zählt?
Und mir wird durch solche Szenerien wieder mal deutlich, dass das Leben echt wahnsinnig kompliziert ist.

Zum Schluss noch eine persönliche Anmerkung: ich kann mir vorstellen, dass der oder die ein oder andere von Euch sich durch diesen Beitrag angesprochen fühlt.
Ist mir natürlich bewusst und ich habe beim Schreiben auch an Euch gedacht. Und es soll jetzt nicht noch sentimentaler werden als es ohnehin schon ist. Aber ich wollte Euch aus gegebenen Anlass nur noch mal deutlich sagen, dass ich an Euch denke und, in der Hoffnung hilfreich zu sein, für Euch da bin. Nicht nur an sentimentalen Sonntagen, sondern immer!

Euch allen wünsche ich einen schönen Sonntag und generell alles Gute!
  

1 Kommentar:

  1. Danke, danke. :) Ich bin nicht so oft am Hafen und kann mich daran einfach immer wieder erfreuen.

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