Ein Blog aus Hamburg über Hamburg. Eine humorvolle Betrachtung des alltäglichen Treibens. Es geht um die Menschen und die Ereignisse in der Hansestadt. Die komischen Menschen und die komischen Ereignisse. Kleine Ereignisse in der großen Stadt. Leise Töne in einer lauten Umgebung. Amüsant, unterhaltend, manchmal wirr. Eben 'Tüdelkram from Hamburg'.



19. Januar 2013

Wer nicht fragt bleibt dumm

Ich hatte gleich so ein ungutes Gefühl.
Trotzdem, fast wie unter Hypnose, ging ich zielstrebig auf den unattraktiven Blechkasten zu, steckte den kleinen Schlüssel in´s Schloss, drehte ihn nach rechts und öffnete die Klappe. Für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, ein eiskalter Windzug käme mir entgegen. Kein gutes Zeichen. Anzeige, Kündigung, Rechnung, Mahnung? Was hatte der Briefkasten wohl heute Furchtbares für mich auf Lager?

Die Antwort auf diese Frage sollte all meine Befürchtungen übertreffen. Ein schlichter, großer, brauner Umschlag lag dort. Sah eigentlich ganz friedlich aus. Auf meinem Weg in die Wohnung, den Umschlag unter´m Arm, dachte ich noch: "Hast Du Dich in letzter Zeit irgendwo beworben?"
Wohnungstür auf, Schlüssel in die Ecke, Jacke auf den Boden, Umschlag aufgerissen. Nun wollte ich es wissen. Ein beherzter Griff in´s Innere der Posttüte und langsam zog ich den Inhalt in´s Freie. Es fühlte sich ein bisschen an wie ein Werbeprospekt. Sollte es etwa falscher Alarm gewesen sein?
Die ersten Buchstaben des Druckerzeugnisses wurden langsam sichtbar: "Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein" - Oh Gott!
Dann kam eine gefühlte Ewigkeit nichts weiter. Doch plötzlich erkannte ich wieder den Ansatz geschriebener Wörter: "Stichprobenerhebung über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt" - Oha! Und dann platze die Bombe: "Mikrozensus 2012" - Hilfe!
Achtung: neugierig!
Innerlich verfluchte ich mich, dass ich nicht auf mein Gefühl gehört hatte. Tut doch keinem weh, wenn ich den Briefkasten mal einen Tag nicht ausleere. Nun hatte ich den Salat, schöner Start in´s Wochenende. Prost Mahlzeit!
Ich versuchte es aber positiv zu sehen. Immerhin hieß das ja, dass ich mehr oder weniger per Zufall zu 1% der deutschen Haushalte gehörte, die für diese Umfrage ausgewählt wurden. Wow, was für ein Glück. Memo an mich: morgen Lottoschein ausfüllen, ich hab nen Lauf!

Schwamm drüber. Dann tue ich eben mal was Vernünftiges in meiner Freizeit, dachte ich mir so. Kann ja mal nicht schaden. Schließlich habe ich ja nun eine gewisse Verantwortung. Meine Nachbarn, meine Mitmenschen, meine Regierung...Deutschland braucht meine Antworten. Ich bin Mikrozensus! Yes, I can! Auf geht´s!

Erwartungsvoll nahm ich mich der Broschüre an, die vermutlich von wahnsinnig intelligenten und qualifizierten Menschen ausgearbeitet und erstellt worden war. Was mögen mich wohl für Fragen erwaten? Welche Dinge hatten sich diese klugen Köpfe wohl ausgedacht?
Nicht lange und meine gerade neu gewonnene Euphorie erlitt einen ersten Dämpfer.
Frage 4: "Wie viele Personen haben am Mittwoch der letzten Woche insgesamt zu Ihrem Haushalt gehört?" Hä? Wieso gerade Mittwoch? Da bin ich meistens zu Besuch bei Freunden, theoretisch lautet die Antwort "Null"...ich selbst mit einbezogen. Zum Glück haben sie nicht nach Samstag von vor 5 Wochen gefragt, da hatte ich die Hütte voll.

Na ja, holpriger Anfang würde ich sagen. Mal weiter schauen. Frage 10: "Welchen Familienstand haben Sie?" An und für sich eine unauffällige und einfache Frage. Meine Aufmerksamkeit galt hier auch eher den Antwortmöglichkeiten. Zu Beginn dieser jährlichen Umfrage, die seit 1957 durchgeführt wird, standen da vermutlich zur Auswahl: verheiratet - geschieden - verwitwet. In den 70ern kam dann "ledig" hinzu. Und im 21. Jahrhundert werden nun auch noch folgende Optionen mit aufgeführt (tief Luft holen): Eingetragene Lebenspartnerschaft (gleichgeschlechtlich) - Eingetragener Lebenspartner/eingetragene Lebenspartnerin (gleichgeschlechtlich) verstorben - Eingetragene Lebenspartnerschaft (gleichgeschlechtlich) aufgehoben.
Leute, wird es nicht langsam mal Zeit, dass man sich hier einfache und vernünftige Begriffe einfallen lässt? Klingt ja fürchterlich. Wie wäre es denn als Pendant zu den Klassikern "verheiratet, geschieden und verwitwet" mit den neuen Bezeichnungen "verhomotet, gayschieden und verhomosolo". Klingt doch viel peppiger und moderner. Außerdem macht das doch gleich einen positiveren Eindruck. Ist doch besser, als wenn die private Lebenseinstellung (immer noch) wie eine Krankheit klingt.

Bei Frage 11 musste ich kurz lachen, allerdings nur, weil ich mal wieder zu schnell gelesen hatte. Für mich sah es auf den ersten Blick nämlich so aus: "Falls Sie weiblich und im Alter von 15 bis 75 Jahren sind: Haben Sie Kinder geboren? Ja - Nein - Keine Ahnung"
Aber war natürlich quatsch. Die dritte Antwortmöglichkeit hieß "Keine Angabe". Trotzdem witzg.

Nächster Knaller, Frage 32: "Gehört es üblicherweise zu Ihrer bezahlten Tätigkeit, dass Sie..." Antwortmöglichkeit Nr. 3: "...Arbeit verteilen"
Herrlich! Da wüsste ich aber einige, die das ankreuzen müssten.

Ungefähr in diesem Moment hatte ich das erste Mal die Idee, mir ein fiktive Identität zuzulegen und anhand derer den Fragebogen auszufüllen. Irgendwas, wodurch die Auswertungscomputer des Statistischen Landesamtes so richtig an ihre Berechnungsgrenzen stoßen würden. Irgendetwas in der Richtung: bi- und transsexueller Frührentner, der seit letztem Donnerstag mit seinen Eltern, jedoch nicht mit seinem Eingetragenen Lebenspartner (verschieden geschlechtlich), zusammen in einem Haushalt lebt. Da würden die Platinen aber bereits nach den Einführungsfragen qualmen!

Aber ich ermahnte mich schnell wieder zu Ernsthaftigkeit. Neugierig wagte ich an dieser Stelle einen Blick auf das Ende des Heftes: insgesamt 180 Fragen auf 54 Seiten! Wie bitte? Das ist kein Fragebogen, das ist ein Buch! Ohne Bilder!
Ne Freunde, so hatten wir nicht gewettet. Ich glaube, das nehme ich mir morgen noch mal vor.

Als ich den Frage-Almanach also vorerst beiseite legte, fiel mein Blick noch mal auf das Deckblatt. Ein weiterer Titelzusatz war mir bislang gar nicht aufgefallen: "Arbeitskräftestichprobe 2012 der Europäischen Union"
Das ich nicht Lache. Etwa DIE Europäische Union, die vor einiger Zeit den Friedens-Nobelpreis erhalten hat?
Also nach solchen Fragebögen, die in erster Linie schlechte Stimmung und Aggressionen schüren, sollten die Norweger über diese Preisvergabe vielleicht noch mal nachdenken. Das Finanzministerium hat soweit ich weiß für seinen Bestseller "Einkommensteuer nebst Anlage N" ja schließlich auch nicht den Pulitzer-Preis erhalten.


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